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Dienstag, 29. März 2016

Schon mal in Düsterbusch gewesen ?


Ich bisher auch nicht und dann hätte ich was verpasst !



Wenn auch Sie Düsterbusch kennenlernen möchten, dann nimmt Sie Alexander Kühne auf einem schrägen Parforceritt aka seinem, wenn ich den Klappentext richtig deute, reichlich autobiographischen Roman "Düsterbusch City Lights" mit in seine Kindheit & Jugend & Nachjugend in der Doitschän Demokrotschn`:



Irgendwo im Nirgendwo hinter Berlin wächst Anton Kummer- sein Name ist Programm- in den siebziger & achtziger Jahren des letzten Jahrtausends auf. 
Gefangen in einer bleiernen Zeit, in provinzieller Ödnis findet Anton seinen Weg der Rebellion in und mit Musik. Anstatt die Republik zu verlassen, träumt er davon, mithilfe seiner musikalischen Helden aus Düsterbusch eine Weltstadt zu machen.
Und es bleibt nicht beim Träumen, auf vielen Umwegen, mit noch mehr Hindernissen und Rückschlägen bringt er letztlich mit einer gehörigen Portion Chupze eine Westband in seine sozialistische Heimat.....

"Ich finde, wenn man was tut, egal wo, dann wird sich was verändern."

Anton Kummer und seine Freunde Sprenzel und Henryk bewohnen ab sofort einen Ballsaal in den unendlichen Weiten meines Bücherherzens. Ich habe mit Ihnen gelitten und gelacht. Alexander Kühne gelingt ein sehr authentisches Porträt meiner Generation, auch wenn sich diese meinerseits im Westen Deutschlands  sicherlich in vielen Punkten freier und einfacher gestaltete. Was aber den Einfluß von Musik und der Rebellion gegen Autoritäten angeht, gab es ein Wiedersehen mit vielen Bekannten....

Düsterbusch City Lights glitzert ! 
Mein Fazit : Großes Lesevergnügen.



Alexander Kühne

Düsterbusch City Lights


384 Seiten
Heyne Verlag
978-3453270183


Donnerstag, 24. März 2016

180° Meer

180° Meer ist Frau Kuttners dritter Roman. Ihr erster Roman "Mängelexemplar" war eine zufällige Urlaubsbekanntschaft in einer mäßig ausgestatteten Inselbuchhandlung und begeisterte mich dann umso mehr. "Wachstumsschmerz", die Nummer 2, rettete ich vom Wühltisch eines hiesigen Discounters, schließlich schreibt sich so ein Autor ja keinen Wolf um anschließend für weniger als ein Pfund Butter verhökert zu werden !



Wie auch in den beiden Vorgänger steht im Mittelpunkt des neuen Romans eine mitteljunge Frau mit Psychomacken, deren Ursprung - welche Überraschung - in der Kindheit liegen. Nach einer vorläufig gescheiterten Beziehung und einer irren Mutter im Nacken flüchtet sie nach London zu ihrem Bruder, begegnet nach jahrelangem Nichtkontakt (siehe Psycho, siehe Macken, siehe Kindheit)  ihrem todkranken Vater und kommt auf den Hund (Therapie). 


Sicherlich kann man das wohlwollend als road novel lesen, aber ehrlich gesagt, ist das inhaltlich eher schwach auf der Brust. Was in den ersten Romanen noch berührend, witzig und neu war, wirkt in der dritten Wiederholung stereotyp und belanglos. 

Mir fehlt, gerade im Gesamtzusammenhang der Romane, die Entwicklung sowohl der Protagonisten als auch der Autorin selbst. Innere Nabelschau in Dauerschleife in locker leichtem Schreibstil reicht (mir) nicht; viel zuviele Sätze, die mit "ich" beginnen :

"Ich bin eine Prostituierte der menschlichen Emotionen."
"Ich bin ein Mensch mit sechs verpassten Anrufen."
"Ich kriege sie alle kaputtgesoult."
"Ich bin anscheinend einsamer, als ich es mir eingestanden habe."
"Ich traue mir nicht mehr über den Weg."

Mein Fazit: Kann man lesen, muß man aber nicht.



Sarah Kuttner

180° Meer


Gebunden mit Schutzumschlag, 272 Seiten
S.FISCHER
978-3100024947 

Freitag, 18. März 2016

Charlotte, ach Charlotte

Der Autor David Foenkinos wird vielen sicher bekannt sein durch den Bestseller "Nathalie küsst".
Mich hat dieses Buch nicht sonderlich beeindruckt, im Gegenteil, es war mir schlicht zu belanglos.
Sein aktueller Roman sprach mich hingegen ob des Sujets direkt an: Literatur über Kunst, Künstler oder Kunstwerke und ich bin sofort dabei.
Foenkinos erzählt die Geschichte der in Auschwitz ermordeten Künstlerin Charlotte Salomon, die, hätte sie diese Barbarei überlebt, mit Sicherheit eine bedeutende Rolle in der Welt der Malerei und möglicherweise auch außerhalb dieser gespielt hätte.




Bemerkenswert an diesem Roman ist nicht nur die Person Charlotte Salomon, sondern auch der Stil, den der Autor als einziges Mittel empfand um die Geschichte überhaupt erzählen zu können.
Der Besuch der Ausstellung über Charlottes künstlerische Vermächtnis "Leben ? Oder Theater ? geriet zu einem derart einschneidenden Erlebnis, dass er sich jahrelang daran abarbeitete : 

"Konnte ich aus Charlottes Geschichte einen Roman machen ?
Welche Form sollte das Ganze annehmen ?
Ich schrieb, löschte, kapitulierte.
Ich brachte keine zwei Zeilen zu Papier.
Nach jedem Satz geriet ich ins Stocken.
Es ging einfach nicht weiter.
Das war körperlich beklemmend.
Ich verspürte beständig das Verlangen, eine neue Zeile zu beginnen.
Um durchatmen zu können.

Irgendwann begriff ich, dass ich das Buch genauso schreiben musste."


Jeder Satz eine neue Zeile, der Verzicht auf Nebensätze, viele Absätze. 
Ein Stakkato an Buch.
Jetzt, Herr Foenkinos, bin ich beeindruckt.
Beeindruckt, ob Ihrer Obsession, dem Ringen nach der "richtigen" Form, dem immer spürbaren Respekt vor dem Leid und der Kunst, der fast zärtlichen Annäherung und von Charlottes Leben und ihrer Kunst sowieso.
Absolute Leseempfehlung !


David Foenkinos

Charlotte

Gebunden mit Schutzumschlag, 240 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3421047083 

                                                                                                    

Samstag, 12. März 2016

getimetravelled

ich sag`s Ihnen, Zeitreisen sind sooo einfach, wenn man die passenden Schlüssel hat. 
Gerade zurückgekehrt aus der römischen Republik, kann ich Ihnen versichern, Politik war, ist und wird immer ein schmutziges Geschäft sein !!

Die Parallelen zum Sumpf in und um das weiße Haus in meiner aktuellen Lieblingsserie "House of Cards" (halten Sie mich zurück, sonst schreibe ich seitenlanges Gelobhudel und vergesse gar noch die  alten Römer; danke) sind so augenscheinlich, dass man aus dem Kopfschütteln gar nicht rauskommt.
Politik gleich Lüge, Intrige, Opportunismus und Eitelkeit : check. Politik und Korruption, geschenkt. Politik und Mord ? gab es auch schon immer....
Wovon ich rede, fragen Sie sich sicher jetzt. Mit Recht !
Angeregt durch  the one&only Herrn Denis "ich-les-für-Sie" Scheck, der in seiner Sendung "Druckfrisch" ein Interview mit Robert Harris zum Erscheinen des dritten Bandes führte, las , nein, betrat ich mithilfe dieses Portschlüssels die Antike 79 v. Chr. : 




Tiro, Sklave, Schreiber und Vertrauter von Cicero, erzählt als fast hundertjähriger den Aufstieg und Fall des großen Staatsmannes und den Niedergang der Republik.
G.R.O.S.S.A.R.T.I.G.

Keine Angst, das ist weder trocken, noch "nur-was-für-Männer" (las ich tatsächlich in einer Rezension, unglaublich) oder für Geschichtsfreaks und Lateinnerds !
Harris, bzw. Tiro, erzählt packend, mitreißend und spannend, ich konnte , obwohl das Ende ja bekannt , das Buch nicht aus den Händen legen. 
Und welche Freude, dass ich noch zwei weitere, unbenutzte Portschlüssel hier liegen habe.....

Das letzte Wort lasse ich dem großen Cicero selbst:

"Wer nicht weiß, was vor seiner Geburt geschehen ist, wird auf immer ein Kind bleiben.Was ist das menschliche Leben wert, wenn es nicht durch Zeugnisse der Geschichte mit dem unserer Ahnen verwoben wird ?"

Montag, 7. März 2016

"Wir kommen" Ronja von Rönne

Ronja von Rönne, dem Namen nach eher auf der Mattisburg zu verorten, gilt als neuer shooting star der deutschen Gegenwartsliteratur. Bereits bekannt durch ihr blog "sudelheft" oder auch als Feuilletonistin bei DIE WELT , heiß & kontrovers diskutiert ihr Text  Warum mich der Feminismus anekelt
Spannend, hier polarisiert jemand mit Wönne, eh Wonne. Sie selbst erklärt, dass sie Meinungen anprobiere wie Kleider...




So what - zum Buch, dem Debütroman von Frau Rönne:
Nora, geschätzte Mittzwanzigerin, lebt in einer Viererbeziehung mit Kind als alternatives Lebensmodell zum Establishment . Das scheint allerdings auch nicht der ultimative Weg zum Glück....
Auf der Suche nach möglichen Ursachen für ihre täglichen Panikattacken in den sehr frühen Morgenstunden, bekommt sie von ihrem Therapeuten den Rat plus Notizbuch, ihr Leben aufzuschreiben.
Parallel zum Alltag in Apathie und Sinnsuche hat  der wirkliche Star des Buches seinen Auftritt : die rote Zora der Uckermark ( keine Ahnung, wo sich der beschriebene Landstrich genau befindet, aber allzu weit daneben liege ich sicher nicht...), nur, daß diese Zora blonde Locken hat , Maja heißt und Freundin ist seit bzw. in Kindertagen.

Maja , Dreh- und Angelpunkt der Geschichte , für deren Figur es sich schon alleine lohnen würde, den Roman zu lesen,  auch ihr könnte Arthur Schnitzler geschrieben haben : "Lebe wild und gefährlich" !
Und nicht nur das, sie hat den Durchblick :

"Wir hatten Maja Erlaubnis, aus diesem Laden zu klauen, denn Klamottendiscounter gehören verbitterten dicken Männern, die Kinder in Asien für ihre Martinis schuften ließen, und ich wußte, das Maja recht hatte, weil sie Worte wie "Martini" kannte."

Wäre Viva kein Musiksender sondern ein Roman, dann einer wie dieser: rotzig, schnell, schnodderig, witzig, Popkultur eben.
Um in der musikalischen Ecke zu bleiben : mehr U- als E-Musik, punk reloaded in moll, Currywurst statt Filet Wellington (gesungen, damit es in die Metapher passt)
Also, lassen Sie es sich schmecken !



Ronja von Rönne

Wir kommen

Gebunden mit Schutzumschlag, 208 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-351-03632-4  

                                                                                                     18,95 € 

Donnerstag, 3. März 2016

Fieber am Morgen von Peter Gárdos

"Es gibt keine andere - entweder sie, oder ich sterbe"



Das mit dem Sterben halten die Ärzte, die den Überlebenden Miklós im Sommer 1945 in Schweden behandeln, für eine ausgemachte Sache: 6 Monate lautet die optimistische Prognose. Völlig unbeirrt davon, beginnt Miklós einen Briefwechsel mit über hundert Frauen aus seiner Heimatstadt in Ungarn, die es ebenfalls nach Schweden geschafft haben, um unter diesen die Frau fürs Leben zu finden.

Es entwickelt sich nun eine der zartesten, unbeholfensten und anrührendsten Liebesgeschichten, die ich seit langem las. Dass Menschen angesichts  unfassbarer Tragödien, die sie erleben, nicht völlig  abstumpfen, verzweifeln und jegliche Hoffnung verlieren müssen, erzählt der Sohn dieses Liebespaares über fünfzig Jahre später.
Ja, sie lesen richtig, diese Geschichte ist so unglaublich wie wahr.; und sie ist dabei weder kitschig noch sentimental. 
Es gäbe noch viel zu sagen, zum Beispiel, dass der Autor weitgehend darauf verzichtet, aus der Holocaustvergangenheit seiner Protagonisten zu erzählen und das gerade dieses ständig im Hintergrund mitschwingende Ungesagte eine große Qualität dieses Romanes ist oder das man mit Leichtigkeit Parallelen zur heutigen Situation von Überlebenden resp. Flüchtlingen ziehen kann, dass Peter Gárdos eine wunderbare, klare und schnörkelose Sprache für seine Geschichte findet  ........ undundund.....

LESEN Sie das bitte, im Andenken an Miklós und Lili !

Noch eine Anmerkung für die Ästheten und Haptiker unter Ihnen: Der Verlag verzichtet auf einen  Schutzumschlag und druckt das Cover direkt auf den Textileinband. Sehr schön !