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Mittwoch, 27. April 2016

Ein Leben für und mit der Kunst

Dominique Vivant Denon, was ein Name, was ein Leben ! 

Dominique-Vivant Denon 1808, gemalt von Robert Lefèvre
Bildquelle : Wikipedia
In seiner Biographie "Der glückliche Kunsträuber" erzählt der Autor Reinhard Kaiser unterhaltsam, fundiert und facettenreich aus einer der spannnendsten Epochen europäischer Geschichte.



Denon, 1747 in der französischen Provinz geboren, kunstsinnig und begabt, zieht es bereits mit 16 Jahren nach Paris, wo er nicht nur Anschluss an die dortige Künstlerwelt knüpft, sondern auch 1768 zum Kammerherrn Ludwig XV. aufsteigt und seine diplomatische Karriere betreibt. Über Stationen in St.Petersburg und Neapel, landet er 1788, kurz vor den Wirren der französischen Revolution, in Venedig und trifft dort auf seine große, lebensbegleitende Liebe (immer mit anderen Männern verheiratet!!) Elisabetta Teotochi Marin:

Gemälde von Elisabeth Vigée-Lebrun
Bildquelle : wikipedia
Aus sicherer Entfernung übersteht er die ersten Jahre der Revolution und macht Bekanntschaften mit bedeutenden Persönlichkeiten, die  ihm in seiner späteren Tätigkeit als Direktor des Louvre noch nützlich sein werden. Und wie könnte es anders sein, auch unseren bekannten Italienreisenden, den Geheimrat aus Weimar trifft er .....
Nach Frankreich zurückgekehrt, betätigt er sich mit einigem Erfolg als Graveur und macht schließlich die Bekanntschaft von Josephine de Beauharnais, der späteren Kaiserin.
Beziehungen sind bekanntlich alles und so gelangt Denon 1798 mit Napoleon bis nach Ägypten und übt sich schon hier im glücklichen kunsträubern.
Als Protegé des Kaisers wird er 1802 zum Directeur général du Musée central des Arts, dem  heutigen Louvre und folgt seinem Kaiser quer durch Europa um Unmengen Beutekunst einzusammeln und diese größtenteils und schweren Herzens 1815 wieder an die rechtmäßigen Besitzer abzutreten.

Denon , ein Bonvivant, ein Kunstverrückter, ein Mann mit Stil , Eleganz und Bildung. Seine Lebensbeschreibung ist ein grandioser Einblick in die Geschichte der Zeit und allem voran auch der Geschichte des Louvre, das es ohne die französische Revolution vielleicht gar nicht geben würde.
Wenn die Lektüre eines Buches  dazu verleitet, von einem Begriff und Namen zum nächsten zu googeln um immer noch mehr wissen zu wollen, was geht mehr ?

Mein Fazit : Wer Biographien mag, der sollte sich den glücklichen Kunsträuber keinesfalls entgehen lassen !



Reinhard Kaiser

Der glückliche Kunsträuber


399 Seiten
C.H.Beck
978-3406688782

Mittwoch, 20. April 2016

Die Mutter meiner Mutter

Kosakenberg, allein für den Namen des Dorfes liebe ich dieses Buch !



In Sabine Rennefanz` Roman erzählt  die Enkelin die Geschichte der Mutter ihrer Mutter, denn eine Großmutter  im besten Sinne war sie nie...
Sie war kalt, herzlos und schrullig und damit das genaue Gegenteil des geliebten Großvaters.

"Meinen Großvater bewunderte ich, über meine Großmutter wunderte ich mich nur."

Wie und warum sich dieses Bild im Laufe der Geschichte komplett verrückt erzählt die Autorin in ruhigen, klaren , teilweise distanzierten Worten. Alles beginnt mit dem Anruf der Mutter und den geflüsterten Worten :"Ich habe etwas über deinen Großvater herausgefunden."
Was folgt ist eine deutsche Nachkriegsgeschichte von Flucht, Vertreibung, Fremdsein, Gewalt und Schweigen - Parallelen zu heute drängen sich auf.
Es geschehen Ungeheuerlichkeiten, die damals nach dem überlebten Schrecken des Krieges scheinbar eine andere Wertigkeit hatten. Doch nichts davon bleibt ohne Folgen, für keines des Familienmitglieder...

Die Geschichte von Sabine Rennefanz Familie (ich vermute zumindest starke autobiographische Anleihen) ist tausendfach erzählt und für viele, in Variationen, auch Teil der eigenen Familiengeschichte. Das sie mich dennoch sehr gefesselt hat, liegt an der  stringenten Erzählweise und wunderbaren Bildern, die sich in meiner privaten Zitatenschublade im Kopf abgelegt haben :

"Auf den Steinen wird meist nur der Name eingraviert, dazu der Geburts- und Sterbetag, vom Dazwischen erzählt nur der Bindestrich."

Das Leben als Bindestrich - ich werde wohl keine Grabinschrift mehr betrachten ohne diesem Bindestrich besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Mein Fazit : ein kluges, berührendes Buch mit beklemmenden Bezügen zum aktuellen Zeitgeschehen



Sabine Rennefanz

Die Mutter meiner Mutter


256 Seiten
Luchterhand
978-3630874548

Dienstag, 19. April 2016

Suchbild

Lektüre und Getränk auf neuer Restedecke:



Tarnung ist alles....

Freitag, 15. April 2016

"Der Kaffeedieb" von Tom Hillenbrand

 In der Mitte des 17.Jh. begann der Siegeszug des Kaffees in Europa; "eingeschleppt" von venezianischen Kaufleuten, die dem schwarzen Gebräu in Konstantinopel und Alexandria verfielen.

Bereits 1647 wurde auf dem Markusplatz das erste europäische Kaffeehaus eröffnet, 1650 folgte ein Kaffeehaus in Oxford, 1652 wurde in London unter dem Namen „Virginia Coffee-House“ ein weiteres Café gegründet. In den folgenden Jahren verbreiteten sie sich besonders um die Börse, die London Stock Exchange, herum und dienten Börsenmaklern und Geschäftsleuten als Treffpunkt.
Genau hier nun betritt  Obediah Chalon, Hauptfigur in Tom Hillenbrands grandiosem Abenteuer-Historien-Schelmenroman, ein Spekulant, Virtuoso und Gauner, die literarische Bühne. 
Mit ausgewählten Gefährten, macht er sich an das wahnwitzige Unterfangen, das Kaffeemonopol der Osmanen zu brechen. Das geschieht nicht ganz freiwillig, doch durch seine Gaunereinen in arger Bredouille, ist dies der einzige Ausweg, um dem sicheren Tod im Gefängnis zu entgehen. Sein Erpresser Auftraggeber ist die allmächtige VOC, Vereinigte Ostindien Company.....



Hillenbrand entfaltet eine großartige Kulisse des ausgehenden 17.Jahrhunderts. Die Dramatis Personae lässt nichts zu wünschen übrig : Louis XIV., sein Sohn, der Comte de Vermandois, Colbert, diverse Könige und Adlige, osmanische Janitscharen, Freibeuter, Meisterdiebe, Musketiere, Gelehrte undundund....
In einem Parforceritt auf 480 Seiten geht es von England über die holländische Republik, Frankreich bis ins osmanische Reich und zurück.



Wie bereits mit seinen Vorgängerromane um den Luxemburger Genußkommissar Xavier Kieffer oder auch seinem Thriller "Drohnenland" trifft Tom Hillenbrand mitten auf meine bibliophile Zwölf !
Obwohl Krimis nicht unbedingt zu meinen bevorzugten  Genre gehören, zählten schon diese Vorgängerromane zu meinen Favoriten.
"Der Kaffeedieb" , der mein Abenteurerherz (dans le fauteil) und Geschichtsinteresse vollauf bedient, ist die (Kaffee)Kirsche auf dem Kuchen.

Wenn Sie also eine günstige Art suchen, für einige Stunden in der Zeit zu reisen und sich dabei wunderbar zu unterhalten : Hier ist sie !!! Kochen Sie sich einen Kaffee dazu.

Mein Fazit : brauchen Sie das noch ??  Ich. Bin. Begeistert.



Tom Hillenbrand

Der Kaffeedieb


480 Seiten
Kiepenheuer & Witsch
978-3462048513

Dienstag, 12. April 2016

Little Black Book

Ich habe es versucht. Wirklich.

Über das Phänomen Modeblogger ließe sich so einiges sagen, aber darum geht es hier nicht. Ich selbst lese  regelmäßig einige Modeblogs und empfinde sie als eine bereichernde Ergänzung zu den gängigen Printmedien.
Nach der Lektüre des "Little Black Book" der bekannten belgischen Bloggerin Sofie Valkiers sitze ich hier unzufrieden und nölig und muss wohl meine Erwartungshaltung an solche Bücher gründlich überdenken.



Da jede Kritik mit etwas Positivem beginnen sollte......es lässt sich nicht darüber streiten, dass Cover, Format und Layout sehr hübsch sind. Wobei, da schreit die Erwartungshaltung (nachfolgend nur noch die EH genannt), mit ungeduldig wippenden Füßen auf meiner rechten Schulter sitzend : "DAS ist ja auch das Mindeste !!!".
Der Inhalt ist gegliedert, die EH fängt an mich zu treten. Okay, okay, die Fotos sind schö....AUA, jetzt fängt sie auch noch an zu schlagen.................

Das Little Black Book ist eine straffe Blogzusammenfassung  garniert mit so grandiosen Beautytipps "Wie wäre es mit einer Mayonnaisemaske" oder Glamourtipps!!!!!! wie folgendem :
"Lese Bücher. Sie erweitern den Horizont, lassen den Alltag vergessen und im günstigsten Fall lernt man dabei. Lesen hat deutlich mehr Stil, als mit der Fernbedienung in der Hand auf dem Sofa abzuhängen."

AHA.

Noch ein Tipp von Frau Valkiers ? Sie empfiehlt unter der Überschrift "Die Fashion Week überleben" u.a. folgende unerlässliche Utensilien :
- Visitenkarten : "manchmal trifft man nämlich auf Modenschauen interessante Leute, denen man dann ganz lässig seine Visitenkarte geben kann." Ja, Himmel, was macht man denn sonst mit den Dingern ??
- "Fusselrolle (um Fusseln und Haare von der Jacke zu entfernen)." Super, jetzt weiß ich, Frau Valkiers sei Dank, endlich wofür man eine Fusselrolle braucht....

Ein Blog ist ein Blog ist ein Blog und sollte (in diesem Fall, es mag andere geben) nicht zwischen zwei Buchdeckel gepresst werden. Banalitäten, verteilt auf einzelne Posts, lassen sich viel eher ertragen als in reiner Konzentration.

Genug jetzt.

Mein Fazit : Bücher, die die meine Welt nicht braucht


Sofie Valkiers

Little Black Book


178 Seiten
Prestel Verlag
978-3791382432

Donnerstag, 7. April 2016

MedizinPorno

Oder auch : "Die Halbwertszeit der Liebe" , der neueste Roman von Corinna T. Sievers aus der Frankfurter Verlagsanstalt. 
Frau Sievers, medizinisch vorgebildet, dem Klappentext entnommen, verdient sie ihre Brötchen u.a. mit Kieferorthopädie, hat eine neue literarische Gattung geschaffen : den Medizin Porno für den ironieaffinen Leser.
Was ein Amüsemäng !!!!!!


Die Protagonistin Dr. Margarete Dorn, Mittvierzigerin,  plastische Chirurgin und laut Selbstdiagnose alibidonös: Sie könne nicht beischlafen, aber lieben. 
Ihre "Déformation professionelle" lässt sie Geschlechtsteile visualisieren;  alle (angezogenen!) Männer werden eingeordnet nach  Länge und Neigungswinkel des erigierten Organes und/oder der Literangabe abzusaugenden Bauchfettes. 

"Woher er komme, frage ich, der Kellner: "Aus Metz, Madame." Stadt der großen Penisse, fünfzehn Zentimeter erigiert, Platz zwei europaweit." 

So nüchtern  (das ist sie eher selten), ich korrigiere, klinisch  sie die Welt betrachtet, geht sie auch mit sich selbst um :

"Auf dem zweiten Kopfkissen liegt Oscar. Sonntag ist Dildotag. Jedes Organ verlangt nach Verrichtung, auch die Vagina."

Dem konsultierten Sextherapeuten erklärt sie, dass sie lediglich aus gesundheitlichen Gründen masturbiere und sich keinerlei Gedanken dazu mache.
Aus ihrem Bemühen sich zu therapieren, aus Angst vor Ehelosigkeit, denn mit fünfundvierzig wird die Anzahl der Möglichkeiten überschaubar, beginnt sie eine amour affaire fou mit Prof.Dr. Hans Heinrich, seines Zeichens Koryphäe im Bereich plastischer Chirurgie und ebenso gestört wie Frau Margarete. Und kaum las ich zum ersten Mal den Namen des Auserwählten....schoß ER mir ins Gedächtnis und verblieb auch dort, die Körperlichkeiten schienen einfach zu ähnlich :



Bereits der Titel des ersten Romans von Corinna T.Sievers "Samenklau" und auch der Auftritt von Maria Rosenblatt, Hauptperson ihres vorangegangenen  gleichnamigen Romans und verwickelt in einen Kinderpornoskandal, lassen darauf schließen, dass Sexualität das Hauptthema der Autorin ist. Das ist sicherlich alles andere als neu, aber noch nie habe ich das dermaßen trocken (bitte untenrum wörtlich nehmen, muaharrr) , nüchtern, fast steril und doch so witzig gelesen. 

Mein Fazit : speziell & amüsant 



Corinna T. Sievers

Die Halbwertszeit der Liebe


300 Seiten
Frankfurter Verlagsanstalt
978-3627002251

Freitag, 1. April 2016

Der goldene Handschuh

Erbarmungswürdig. Trostlos. Elendiglich. Todtraurig. Grandios.
(hysterisch gehypt ? zu Recht).

In Heinz Strunks vielbeachtetem Roman "Der goldene Handschuh" feiert der wohl bekannteste Frauenmörder der siebziger Jahre Fritz Honka seine literarische Wiederauferstehung; wobei golden ist hier nichts und gefeiert wird auch nicht, sondern nur dumpf bis zur Besinnungslosigkeit gesoffen.


In der gleichnamigen Kneipe auf St.Pauli trifft sich der unterste Bodensatz der Gesellschaft : Tampon-Günter, Fanta-Rolf, Soldaten-Norbert, die Schimmeligen und eben auch Fritz Honka, gescheiterte, erbärmliche Existenz .

Herberts Tresen, das Panoptikum des Grauens, an dem aber auch Mitglieder der Hamburger High Society Platz nehmen, denn auch Geld ist kein Garant für Menschlichkeit und Würde.
Existenzen , die man kaum als Leben bezeichnen kann,  beschreibt Strunk lakonisch und authentisch ohne den Voyeurismus oder jener Sensationsgier, mit der sich der heutige Boulevard auf eine solche Story stürzen würde.
Die Brutalitäten und  ekelhaften Widerwärtigkeiten sind kein Mittel zum Zweck, sondern sind was  sie sind, nämlich einfach nur Realitäten, mit denen Sie und ich , halleluja!!!,  keinerlei Berührungspunkte  haben, hatten, haben werden - hoffentlich.

Aber Vorsicht, wie sagt Fiete, alias Fritz Honka :
"....Hoffnung ist ein Seil, auf dem Narren tanzen "


Heinz Strunk ist ein großartiges Porträt menschlicher Abgründe gelungen, wie kosmische Hintergrundstrahlung ist, trotz der sachlichen, lakonischen Erzählweise, seine Empathie spürbar. Ein Roman für die Top Five 2016.

Mein Fazit : LESEGEBOT ! ohne wenn und aber ! alles stehen- und liegenlassen !!!





Heinz Strunk

Der goldene Handschuh


254 Seiten
Rowohlt Verlag
978-3498064365